Montag, 26. Mai 2014

Google, das Betriebssystem des Lebens


Das Schreckgespenst Google geistert durch die Medien und alle fragen sich warum. Ein Blick in die Geschichte, Googles Welt und warum uns das betrifft.


Geht nicht gibt's nicht


Google ist konkurrenzlos verrückt. Unternehmerisch gesehen ist das absolut positiv. Als Google 1998 mit seiner Suchmaschine an den Start ging, betrug der jährliche Umsatz nicht einmal eine Million Dollar. In den letzten 15 Jahren sind daraus über 60 Milliarden Dollar geworden.
"Wir sind überzeugt, dass Portale wie Google, Facebook, Amazon und Apple weitaus mächtiger sind, als die meisten Menschen ahnen. Ihre Macht beruht auf der Fähigkeit exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahme von biologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartiger Geschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wie diese Technologieplattformen und dies verleiht auch ihren Machern, Eigentümern und Nutzern neue Macht."
Dieses Zitat stammt aus dem Buch "Die Vernetzung der Welt" vom ehemaligen CEO und aktuellen Chairman von Google, Eric Schmidt. Doch wie war dieser unglaublich steile Aufstieg überhaupt möglich? Die meisten Menschen verbinden mit Google noch immer einfach die Suchmaschine, aber das ist längst passé.
Ein Blick in Googles Portfolio:

Googles Welt


1998 startete Google mit seiner Suchmaschine im Internet. Der Name "Google" leitet sich von der Zahl Googol ab - das ist eine 1 mit hundert Nullen - und soll Googles bestreben ausdrücken, möglichst viele Seiten bei seiner Suche zu indizieren und somit Treffer zu liefern. Mit dem Internet wuchs auch das Unternehmen. Heute dominiert Google mit einem Marktanteil von mehr als neunzig Prozent den deutschen Suchmaschinenmarkt und weltweit mit einem Anteil von immerhin über achtzig Prozent. Die größte Video-Plattform des Internets und gleichzeitig zweitgrößte Suchmaschine "Youtube" gehört ebenfalls zu Googles "Imperium".
Außerdem ist Google Eigentümer von Android, dem wichtigsten Betriebssystem von Smartphones und Tablets, 2013 liefen mehr als achtzig Prozent der weltweit neu ausgelieferten Smartphones auf Android, Tendenz steigend. Anfang 2014 stellte Google außerdem  auf der Automesse CES 2014 in Las Vegas eine Kooperation mit dem Autoherstellern Audi, General Motors, Honda und Hyundai vor, die Android auch als Betriebssystem ins Infotainment des Autos einbinden soll.
Nebenbei gehören Google der Browser "Chrome", der in nur fünf Jahren die stärkste Stellung im weltweiten Browser-Segment eingenommen hat, und der weltweit meistgenuzte E-Mail-Dienst Gmail.
Wem von diesen Zahlen schon der Kopf schwirrt der sollte lieber aufpassen, denn Google plant noch mehr.
In seiner Zukunftswerkstatt im Silicon-Valley wurde die vor kurzem vorgestellte Brille Google Glass entwickelt, auf der Daten direkt ins Sichtfeld des Nutzers projiziert werden und noch mehr.
Der Chip für ein fahrerloses Auto, der ebenfalls auf der CES 2014 vorgestellt wurde soll 2020 marktfähig sein und die Forscher von Google arbeiten zeitgleich an über 100 Projekten, von denen sich viele noch im frühsten Stadium der Entwicklung befinden, und zu denen Robotertechnik, künstliche Intelligenzen und ein alle Weltsprachen umfassender Echtzeit-Übersetzer gehören.
Die Tochtergesellschaft Google Ventures finanziert außerdem mit Risikokapital zukunftsträchtige Unternehmen, wie z. B. die Kaffeehauskette 'Blue Bottle' in San Francisco, '23andME', ein Unternehmen zur DNA-Analyse, 'Wingu', das an effektiveren Entwicklungsverfahren für die Pharmaindustrie arbeitet oder 'SynapDx', dessen Bluttests in Zukunft die Diagnose von Autismus beschleunigen sollen.
Google baut die Zukunft.

Konkurrenzlos verrückt


Für die Firmengründer Larry Page und Sergey Brin ist keine Idee zu gewagt, zu unrealistisch, als das man es nicht wenigstens probieren könnte, sie zu verwirklichen. Es gibt meist keine Konkurrenten, weil "oft kein anderer verrückt genug ist , ebenfalls Unrealistisches zu wagen" erklärte Page 2009 vor Studenten in Michigan. Die Ingenieure sollen das Undenkbare denken. Sergey Brin fordert "Moonshots", Ideen, die die Welt genauso begeistern, wie die Mondlandung. Das Betriebssystem Android, mit seinem gigantischen Marktanteil von über achtzig Prozent könnte in dieser Liga spielen.
Und die Strategie fruchtet, wie man sieht. Eine unternehmerische Leistung vor der man nur den Hut ziehen kann. Google hat maßgeblich das Internet geprägt, wie es heute ist, und damit auch das Gesicht der Welt. Es hat eine Art Hauptstraße im Internet geschaffen auf der es immer nur voran geht. Solange Google das möchte.

Alternativlos - Googles Monopolstellung


Darin liegt der Kern der Kritik an Google. Ich habe mich des Lieblingswortes unserer Kanzlerin bemüht: Google ist alternativlos. Es gibt keine Alternative, die auch nur ansatzweise vergleichbare technische Voraussetzungen zur automatisierten Werbevermarktung bietet. Es gibt keine Suchmaschinen-Alternative zu Steigerung der Online-Reichweite. Und Unternehmen, deren Geschäft sich auch im Internet abspielt können auf diese Einnahmequelle nicht verzichten. Der Vorschlag einfach auf Vermarktung via Google zu verzichten ist, wie Mathias Döpfner treffend schreibt, etwa so sinnvoll wie einem Atomstrom-Gegner vorzuschlagen, doch einfach auf Strom zu verzichten.
Wer sich jetzt fragt "Ja, und?" dem sei gesagt, dass bei einem Tochterunternehmen von Axel Springer nach einer Änderung des Suchalgorithmus von Google die Besucherzahlen um knapp siebzig Prozent einbrachen.
Diesen Fall beschrieb der Vorstandvorsitzende der Axel Springer SE Mathias Döpfner in seine offenern Brief "Warum wir Google fürchten".
Nur zur Erinnerung: Axel Springer ist mit einem Jahresumsatz von 2,8 Milliarden Euro eines der größten digitalen Verlagshäuser Europas. Es gibt sicherlich einige Beispiele wie Google seine Macht missbraucht oder das zumindest könnte, ich will es aber zur Verdeutlichung bei diesem populären Fall belassen. Nachdem der Europäische Gerichtshof nun in einem jahrelangen Verfahren gegen Google einen ersten kleinen Siegt errungen hat wird klar: Mit der unglaublichen Dynamik und Allgegenwärtigkeit dieses Internet-Riesen können kleinere Unternehmen und bürokratische Behörden längst nicht mehr mithalten.

Das Ende der Aufklärung


Doch wenn jetzt von der Bedrohung tradierter Geschäftsmodelle die Rede ist, dann greift die Debatte noch immer viel zu kurz. Es geht um viel mehr, als nur um Marktanteile und die Zukunft diverser Branchen.
"Was ist Aufklärung?" fragt Kant in seinem gleichnamigen 230 Jahre alten Essay. Er gibt uns auch eine Antort mit auf den Weg: "Der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit."
Aber es ist genau diese Unmündigkeit, dieser Unwille seinen eigenen Kopf zu benutzen, zu der uns Google, Apple, Facebook & Co. seit einigen Jahren zurückkatapultieren. Unmündigkeit ist in erster Linie nämlich eines: Sehr bequem.
Als hätte er selbst ein Smartphone besessen schreibt Kant:
"Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurteilt,...brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."
Und wie sie das Übernehmen! Sie navigieren für uns, schlagen uns Bücher, Freunde, ja ein Leben vor. Sigmund Freud nannte den Menschen einst einen "Prothesengott", der sich dank seiner Werkzeuge zur übermächtigen Spezies entwickeln konnte. Doch was, wenn diese Werkzeuge am Ende die Menschheit steuern, statt umgekehrt?

Gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche


Bevor jetzt die Wogen der Empörung hochschlagen möchte ich noch meine eigene Meinung dazu geben:
Als sich Google und andere im Netz mit ihren vermeintlich kostenlosen Diensten breitmachten, ahnte noch niemand, dass wir das alle doch bezahlen würden. Nicht mit Geld, sondern mit unserer Privatsphäre. Mit unseren Daten. Von "Jedermans-Daten" wie Name und Adresse über Bewegungsprofile bis hin zu unserer Persönlichkeit, die sich aus der Kombination aller Daten mit Suchanfragen, angeschauten Fotos, gelesenen Büchern etc. ergibt.
Der gläserne Bürger existiert. Mittlerweile kann ich mich nicht einmal mehr so einfach gegen Google Google entscheiden: Wenn ein Bekannter von mir auf seinem Android-Gerät meinen Kontakt mit meiner Anschrift versehen hat, und sich ein Treffen mit mir in den Kalender einträgt hat auch Google diese Informationen. Das verstößt meiner Meinung nach gegen das Recht zur informationellen Selbstbestimmung - ein Datenschutz-Grundrecht jedes Deutschen Bürgers. Doch:
Die Bedrohung geht weniger von Google & Co. aus als von uns selbst. Denn mittlerweile ist das oben genannte bekannt - es gibt nichts einfach kostenlos im Internet. Und ohne unsere Daten kein Geschäft. Die Konzerne sind nur so mächtig, wie wir ihnen es erlauben. Die Frage ist nur: Entscheiden wir uns für die Bequemlichkeit der Entmündigung oder den anstrengenden Schutz des Individuums?
Es geht nicht einfach nur darum, wem das Internet gehört, sondern wem wir gehören und was wir überhaupt davon halten. Doch dieser Kampf hat erst begonnen.
Tröstlich ist jedoch eine Erinnerung: AOL, Myspace, Second Life: Das waren alles einmal wirklich große Spieler im Kampf um das Internet. Waren. Vor der Unendlichkeit weniger Jahre.



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Quellen:

Mathias Döpfner - Offener Brief an Eric Schmidt: Warum wir Google fürchten
Robert M. Maier - Von der Suchmaschine zur Weltmacht: Angst vor Google
Eric Schmidt - Die Chance des Wachstums
Axel Postinett - Konkurrenzlos verrückt
Thomas Tuma - Vom Ende der Aufklärung (Handelsblatt Nr. 99 vom 23.05.2014)

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