Freitag, 18. April 2014

Im Netz der Schatten - die Konsequenzen der Massenüberwachung

Achtung: Dies ist kein Artikel aus Empörung über Überwachung und Datensammelei, auch keiner der sich mit der Rechtmäßigkeit dieser Praxis auseinandersetzt. Das haben schon viele andere kluge Köpfe gemacht, wahrscheinlich besser als ich das jemals könnte.
Ich trete einen Schritt zurück und versuche die Situation jenseits der aktuellen Aufregung zu betrachten. Was mich vielmehr interessiert ist die Frage danach, wie die Datenüberwachung uns als Menschen langfristig verändert...



...und was sie aus uns macht. Mein Stichwort ist Freiheit - die Freiheit jedes Menschen. Aber das ist ein sehr großes Wort, darauf komme ich noch zurück.
Fangen wir lieber klein an...


Der Selbstdarsteller


Ich habe mir vor einigen Wochen ein neues Auto gekauft. Um genau zu sein mein erstes eigenes Auto überhaupt. Sofort wollte ich meinen Facebook-Auftritt mit Fotos und Statusmeldungen überschwemmen. Habe ich aber nicht gemacht...
Warum? Weil ich mir gedacht habe, dass das zu viel Selbstdarstellung wäre, dass einige meine Freude für Angeberei halten würden und und und...also ist aus dem Bilderfeuerwerk nur ein kleiner Textbeitrag geworden.
Jetzt könnte man sich schon fragen, warum ein abgeklärter Typ, für den ich mich eigentlich halte, sich solche Gedanken über seine Außendarstellung im Internet macht. Aber das tut man wohl - sicher muss nicht alles direkt geteilt und geliked werden - man muss seine innersten Gefühle ja auch nicht zwingend auf Facebook nach Außen kehren. Aber man teilt ja eben doch gewisse Dinge, und kommentiert und liked, aber wo setzt der Kopf da die Grenze und denkt sich "ahh, das jetzt doch nicht..."?
Dass das Realität ist zeigt eine Studie von Facebook Daten-Wissenschaftler Adam Kramer, die offenlegt wie häufig Facebook-Nutzer Beiträge schon tippen, dann aber doch nicht veröffentlichen. Im Schnitt hielt jeder Nutzer 4,52 Beiträge in den untersuchten 17 Tagen zurück.
Ach ja, an alle die sich hier nicht wiederfinden, weil sie tagtäglich meine Startseite auf Facebook vollspammen - ihr braucht jetzt nicht zwingend weiterlesen. Wer so wenig Fähigkeit zur Selbstreflexion hat braucht sich keine Gedanken machen. That's it. Ihr seid raus aus'm Schneider.


Immer wieder dieser Freud


Sigmund Freud läuft einem immer wieder über den Weg, wenn man sich mit der menschlichen Psyche und ihren Grundlagen beschäftigt. Wer jetzt sagt "Schon wieder Freud...", dem sage ich "abwarten, der Typ war aber auch echt genial. Und er hat uns ein ganz hervorragendes Instumentarium an Begriffen in die Hand gegeben, die wir benutzen können, um die Grundlagen unseres Handelns zu verstehen.
So hat Freud beispielsweise entdeckt, dass wir uns selbst zensieren. Dies sah er selbst als eine seiner wichtigsten Entdeckungen an (ich möchte hier nicht den psychischen Apparat nach Freud vorstellen, für mehr Infos zur Selbstzensur hier). Er verglich diese Dynamik mit der Pressezensur im ersten Weltkrieg und entdeckte zahlreiche Parallelen. Eine Instanz im Kopf filtert also moralisch nicht angebrachte Gedanken und lässt uns gewisse, gesellschaftlich verwerfliche Dinge nicht aussprechen. Schön und gut, das war immer schon Bestandteil der Psyche und so hat man im zaristischen Russland im Brief an seine Bekannten im Ausland halt darauf geachtet was man schrieb. In der DDR wurde das ganze schon kritischer, die Staatssicherheit war theoretisch überall und so musste man sich schon sehr überlegen, wem man seine Meinung anvertraute. Überwachung beeinflusst unsere Art des Kommunizierens - und hat vermutlich noch viel tiefgreifendere Auswirkungen.
Doch seit damals hat sich viel Verändert. Der allzu menschliche Schnüffler aus "das Leben der Anderen" mit Kopfhörer, Stift und Papier und Tränen in den Augen ist einer Maschine gewichen.


Verschwommene Grenzen


(Wer über technische Möglichkeiten der Überwachung informiert ist und/oder sich nur auf den psychlogischen Aspekt fokussieren möchte kann diesen Absatz überspringen)
Wir alle sind inzwischen Daten. Unsere Person wird digital verknüpft mit ihren Online-Klicks, ihrem Kaufverhalten und mit Standort und Browserverlauf.
In manchen Ländern, nehmen wir z. B. Großbritannien, wird digitale Videoüberwachung besonders massiv betrieben. Hier sind sogar unsere Gesichter Teil der Datenströme.
Gut, hier in Deutschland ist polizeiliche Videoüberwachung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur sehr eingeschränkt möglich. ABER private Kameras dürfen überall angebracht werden, wo das nicht ausdrücklich verboten ist. Wieder ein Schlupfloch. So konnten im Sommer 2006 auch die versuchten Kofferbombenanschläge in zwei Regionalzügen in Deutschland aufgeklärt werden - mithilfe von Überwachungskameras der Deutschen Bahn.
Jetzt haben wir 2014. Die Gesichtserkennungssysteme werden immer besser. Die NSA und andere Dienste nutzen die Systeme von Facebook und Co. um ihre eigenen Erkennungsprogramme zu vervollkommnen. Und das ist erst der Anfang - auf vielen Flughäfen sind Körperscanner im Einsatz und bei den Olympischen Spielen in Sotchi kamen Gesichtsscanner zum Erkennen von Selbstmordattentätern zum Einstz.
In der Vergangenheit stützten sich Neuerungen immer wieder auf bestehende Infrastruktur, z. B. bei Telefon und Telegraf die Bahngleise. Die Firma Sensity Systems hat sich die drei Millarden Straßenlaternen weltweit vorgenommen, die aus Kostengründen auf Gleichstrom umgestellt werden sollen, sodass günstige LED-Leuchten verwendet werden können. Anschließend will man auch günstige internetfähige Sensoren einbauen - für Wind, Temperatur, Helligkeit, Erschütterungen, Video- und Audiosignale. Verdächtige Aktivitäten überwachen, verlorene Gegenstände wiederfinden? Suchen Sie sich den passenden Sensor aus, wir haben alles!
Für alle Skeptiker, die sagen: "Das wird sowieso nicht so durchgeführt/ das ist zwar technisch möglich, das wird aber nicht gemacht" ein Zitat vom Firmenchef von Sensity, Hugh Martin:
 "Ein solches globales Datennetzwerk hat es bisher noch nicht gegeben. Und seine Möglichkeiten sind potentiell viel größer als alles, was die NSA mit Prism und XKeyScore kann. Ein Netz von smarten Lampen, die Audio- und Videoaufzeichnungen liefern, die von Apps mit Gesichtserkennungstechnik analysiert werden können, das hat durchaus Orwellsche Dimensionen. Mein Fernsehgerät beobachtet mich vielleicht nicht, aber die Straßenlaterne vor meinem Haus könnte das. Beleuchtung ist ein trojanisches Pferd."
In einer Welt von privaten Sicherheitsfirmen und internationaler Terrorismusbekämpfung schwindet die Grenze zwischen Staaten und Unternehmen. Hugh Martin behauptet sein Unternehmen werde "die Diskussion Pravtsphäre versus Sicherheit entscheident vorantreiben". Wohl die Untertreibung des Jahrhunderts.
Soweit zu den technischen Möglichkeiten. Zurück zu Freud.


Leerstellen im Bewusstsein


Freud beobachtete, dass politische Zensur ganz konkrete Folgen hatte – wir gewöhnen uns daran, noch vor der eigentlichen Zensur Selbstzensur zu üben. Wir überlegen: „Vielleicht sollten wir das nicht schreiben“ und gehen sicherheitshalber auf Abstand zu gefährlichen Aussagen. Genau so verfahren wir in unserem Seelenleben. Wir schützen uns vor unserem inneren Zensor, indem wir verbotene Gedanken abwehren oder entstellen.

Selbst die Formulierung „Privatsphäre versus Sicherheit“ ist möglicherweise viel zu schwach – weil wir uns am Ende in einem anderen Licht sehen, wenn so viel über uns gesammelt und analysiert wird.
Noch ist diese extreme Form von Selbstzensur, die ich hier andeute Zukunftsmusik. Das liegt schlicht daran, dass wir noch so wenig Praxisbezug zur Verwendung unserer Daten haben. Bisher werden diese einzig genutzt um uns bessere Produktvorschläge zu liefern, personalisierte Werbung also. Facebook geht schon einen Schritt weiter und gibt sich sozial: "XY hat Geburtstag: Schreibe ihm Geburtstagsglückwünsche an seine Chronik...".
Wir sind abhängig von dieser Technik. Dank digitaler sozialer Netzwerke hat jeder so viele "Freunde", dass er sich deren Geburtstage gar nicht ohne die Hilfe dieses Netzwerkes merken könnte. Das ist best-practise-Vermarktung und ein Selbstläufer. Google macht das sogar noch genialer, aber dazu ein andernmal. Fakt ist, dass wir uns abhängig machen, auf sehr vielen Ebenen. Das macht unsere Daten Geld wert. Aber was, wenn uns bewusst wird, dass unsere Daten eines Tages Leben kosten können, Stichwort Terrorismusbekämpfung?! Dann werden wir uns selbst nicht mehr wieder erkennen!

Freiheit bedeutet ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Also müssen wir uns zwingend die Frage stellen in wie weit wir auf unsere Freiheit verzichten wollen und wie sehr die Grenze zwischen Staaten und Unternehmen verschwimmen darf.
Auf der Sun-Valley-Konferenz fragte jemand, wie Facebook es denn mit der Speicherung von Daten und dem Schutz der Privatsphäre halte. Mark Zuckerberg auf dem Podium antwortete: "Ich verstehe Ihre Frage nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten."


Der Quer / denker auf Facebook

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